Artenschutz-Bilanz: WWF kürt "Gewinner und Verlierer 2024"
Naturzerstörung, Wilderei und Klimakrise gefährden zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Auch 2024 gibt es im Reich der bedrohten Arten zahlreiche Verlierer, darunter Korallen, Borneo-Elefanten, Bantengs, Brillen-Pinguine und Bäume. In der Schweiz sind insbesondere Igel, Wölfe und Goldlaufkäfer stark betroffen. Doch es gibt auch Lichtblicke: Sie zeigen, dass sich der Einsatz für den Schutz bedrohter Arten und Lebensräume lohnt.
• Gemäss dem Living Planet Report 2024 des WWF sind die untersuchten Wildtierpopulationen innert 50 Jahren im Schnitt um 73 Prozent gesunken. Der Bericht belegt einen beispiellosen Artenverlust innert kurzer Zeit.
• Um das globale Artensterben zu stoppen, fordert der WWF eine Naturschutz-Offensive: So soll zum Beispiel die Gesamtfläche der Schutzgebiete deutlich zunehmen. Ziel ist es, bis 2030 ihr Anteil auf 30 Prozent der Land-, Wasser- und Meeresfläche zu erhöhen. Die Schweiz trägt zwar dieses Ziel mit, ist selbst aber noch weit davon entfernt.
• Wir können der Natur helfen, indem wir naturpositive Lebensmittel konsumieren, umweltfreundliche Verkehrsmittel nutzen, die Sonnenenergie ausbauen und umweltschädliche Finanzströme hin zu Natur- und Klimaschutz umlenken. Denn eine intakte Natur ist unsere beste Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise und das weltweite Artensterben!
Zitate René Kaspar, Artenschutzexperte beim WWF Schweiz:
«Wildtiere verschwinden im Rekordtempo für immer von unserem Planeten und alle Ursachen sind menschengemacht: Lebensraumzerstörung, Übernutzung und Wilderei, invasive Arten, Umweltverschmutzung sowie die Klimakrise.»
«Die Erfolge im Artenschutz sind greifbar, doch wie der Living Planet Report 2024 zeigt, bleibt die Biodiversität ohne einen systematischen Wandel bei der Landnutzung und beim Klimaschutz weiterhin akut bedroht.»
«Erfolge wie die Rettung einzelner Arten, können das übergeordnete Bild nicht verschleiern: Der Biodiversitätsverlust schreitet mit einer Geschwindigkeit voran, die unsere Schutzbemühungen immer wieder überholt.»
Gewinner 2024
Iberischer Luchs: Der Iberische Luchs (Lynx pardinus) ist dank intensiver Schutzmassnahmen auf der Roten Liste der bedrohten Arten von „stark gefährdet“ auf „verletzlich“ herabgestuft worden. Die Population des Iberischen Luchses ist von nur 62 ausgewachsenen Tieren im Jahr 2001 auf 648 Individuen im Jahr 2022 angestiegen, wobei die Gesamtzahl – einschliesslich Jungtiere – inzwischen bei über 2 000 liegt. Wesentliche Massnahmen für diesen Erfolg waren der Schutz und die Wiederherstellung der Lebensräume, die Förderung der Beutetiere wie des Europäischen Kaninchens sowie Zuchtprogramme und Wiederansiedlungen. Seit 2010 wurden über 400 Luchse ausgewildert und ihr Lebensraum hat sich auf 3 320 km² vergrössert. Trotz dieser Fortschritte bleibt die Art gefährdet. Mögliche Rückgänge der Kaninchenpopulation, Krankheitsübertragungen von Hauskatzen sowie Verkehrsunfälle stellen weiterhin Herausforderungen dar. Klimawandelbedingte Veränderungen der Lebensräume könnten die Lage zusätzlich erschweren.
Meeresschildkröten im Mittelmeer: Die Population der Unechten Karettschildkröte erholt sich im Mittelmeer. Dank Schutzmassnahmen wie der Reduktion von Beifang und dem Erhalt von Niststränden können dort immer mehr Schildkröten überleben und sich fortpflanzen. Auf der griechischen Insel Zakynthos wurde 2024 ein Rekord von über 1.200 Nestern der Art Caretta caretta am Sekania-Strand gemeldet. Trotz anhaltender Klimakrise und Plastikmüll-Verschmutzung zeigt dieser Erfolg, wie gezielte Massnahmen lokale Bestände stärken können.
Tiger: Auch in diesem Jahr gibt es erfreuliche Nachrichten für die Tierart: Ein im Sommer gestartetes Wiederansiedlungsprojekt soll die Grosskatzen nach Kasachstan zurückbringen, wo sie seit über 70 Jahren ausgestorben waren. Im Norden Myanmars haben Wildtierkameras Bilder vom ersten Tiger-Nachwuchs in der Region seit 2018 machen können. Im Nachbarland Thailand zeigt der Trend ebenfalls klar nach oben: Laut offizieller Zählung verzeichnet das Land einen Anstieg der wildlebenden Tigerpopulation von 179 auf 223 Tiere. Auch in Bangladesch geht es dank intensiver Artenschutz-Arbeit bergauf: 84 bengalische Tiger konnten dort in einem geschützten Mangrovengebiet nachgewiesen werden. Laut Schätzungen befinden sich nun in dem Gebiet um zehn Prozent mehr Tiger als noch im Jahr 2018.
Siam-Krokodil: Im Sommer 2024 haben Ranger in einem kambodschanischen Schutzgebiet über 100 Eier der vom Aussterben bedrohten Krokodilart entdeckt, aus denen wenig später rund 60 Kroko-Babys schlüpften. Es handele sich um den grössten Nachweis für die Fortpflanzung dieser Art in freier Wildbahn seit zwei Jahrzehnten. Schätzungen zufolge gibt es weltweit nur noch etwa 1000 wildlebende Exemplare, davon 300 in Kambodscha. Der Bestand der Siam-Krokodile ist durch Wilderei und den Verlust ihres natürlichen Lebensraums immer weiter geschrumpft. Es war vor allem die Nachfrage nach Krokodilleder, die die Art an den Rand des Aussterbens gebracht hat.
Thunfisch: In der Nordsee tauchen wieder vermehrt Blauflossen-Thunfische auf. Durch Überfischung waren sie lange Zeit verschwunden. Strenge Fangverbote und die Bekämpfung illegaler Fischerei sorgen dafür, dass die Population, die im Nordostatlantik wandert und im Mittelmeer laicht, wieder auf ein gutes Niveau anwachsen konnte. Auch Giganten mit über 300kg und knapp 3 m Länge wurden inzwischen in der Nordsee gesichtet. Die Bestandsentwicklung wird durch Wissenschaftler weiter beobachtet, um eine langfristige Erholung sicherzustellen.
Fischotter in der Schweiz: Bis zum zweiten Weltkrieg wurde der Otter intensiv als Fischschädling bejagt. Seit 1952 ist der Fischotter in der Schweiz geschützt, aber Lebensraumzerstörung, schwerabbauende Stoffe wie PCB und andere Umweltgifte waren stärker. 1989 konnte der letzte wildlebende Otter am Neuenburgersee beobachtet werden. Danach galt er in der Schweiz als ausgestorben. Bis 2009 ein Fischotter in Reichenau in eine Fotofalle tappte. Seither wanderten weitere Otter aus Österreich und Frankreich in die Schweiz ein. Zusammen mit den Nachkommen von entwischten und später wieder eingefangenen Ottern an der Aare leben Fischotter wieder an 5 Gewässern in der Schweiz. Dank Kläranlagen und Flussrevitalisierungen findet der anpassungsfähige Fischjäger wieder mehr geeignete Lebensräume in der Schweiz, vorausgesetzt wir können die Lebensbedingungen auch für seine Beute, die Fische, weiter verbessern. Entlang von revitalisierten und natürlichen Flüssen und Seen finden Menschen Erholung, viele bedrohte Arten Lebensraum und Fischer:innen sowie Otter genügend Fische.
Weissstorch in der Schweiz: 1950 war der Weissstorch in Schweiz ausgestorben. Dank dem Engagement von vielen Freiwilligen konnten zuerst in Altreu SO und danach an immer mehr Orten Störche angesiedelt werden. Seit 1995 wird auf Auswilderungen verzichtet und dank Schutzbemühungen, der Aufwertung von Lebensräumen und dem fortlaufenden Engagement vieler Freiwilligen leben heute wieder fast 900 Brutpaare in der Schweiz. Das Ziel von 300 Paaren im Jahr 2024 wurde damit deutlich übertroffen. Über den Berg ist der Weissstorch aber noch nicht. Er gilt noch immer als potenziell gefährdet und der notwendige Bruterfolg von 2 Jungstörchen pro Jahr im Durchschnitt ist noch nicht erreicht. Fehlende Nistplätze mit genügend Nistmaterial, ungenügende Nahrungslebensräume, Stromschläge an Mittelspannungsleitungen und immer mehr Littering können die erzielten Erfolge rasch zunichtemachen. Der Weissstorch braucht noch immer unsere Unterstützung, um die Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben.
Verlierer 2024
Korallen: In den Korallenriffen der Erde vollzieht sich gerade eine Tragödie unermesslichen Ausmasses. Die Klimakrise führt zu Rekordtemperaturen im Wasser, durch die in den tropischen Meeren der ganzen Welt die Korallenriffe bleichen. Diese vielfältigen Unterwasserwälder der Meere stehen förmlich in Flammen. Hält dieser Zustand länger an, drohen grosse Teile dieser ikonischen Lebensräume abzusterben. Im australischen Great Barrier Reef stellten Wissenschaftler bei Untersuchungen von zwölf Teilriffen bereits Sterblichkeitsraten von bis zu 72 Prozent der Korallen fest. Laut Roter Liste sind 44 Prozent aller Riffkorallenarten akut bedroht. Der einzige Ausweg aus dieser fatalen Entwicklung ist sofortiger, wirksamer Klimaschutz. Mit den Riffen würde nicht nur ein wichtiger Lebensraum verloren gehen, sondern auch die Lebensgrundlage für Millionen von Menschen, die von der Fischerei und vom Tourismus leben.
Borneo-Elefant: Von der kleinsten Unterart des Asiatischen Elefanten leben nur noch rund tausend Tiere in freier Wildbahn. Der auf der südostasiatischen Insel Borneo lebende Zwergelefant wurde 2024 in die Rote Liste der IUCN als „stark gefährdet“ aufgenommen. Die Population ist in den vergangenen 75 Jahren aufgrund der intensiven Abholzung der Wälder Borneos stark zurückgegangen, die den Grossteil des Lebensraums der Elefanten zerstört. Es war das erste Mal, dass die IUCN den Borneo-Elefanten einzeln als Unterart der Asiatischen Elefanten untersuchte.
Banteng: Das südostasiatische Dschungel-Rind wird in der Roten Liste ab sofort als “vom Aussterben bedroht” eingestuft. Der weltweite Bestand schrumpfte in den vergangenen 20 Jahren um mehr als 80 Prozent. Grund dafür sind vor allem illegale Jagd und Lebensraumverlust. Expert:innen schätzen die Population auf nur noch etwa 3300 Tiere. Gleichzeitig zeigt die aktuelle Version der Roten Liste aber auch, dass Schutzmassnahmen Wirkung zeigen. So konnte sich die Population des Banteng in Thailand erholen - nicht zuletzt aufgrund jahrzehntelanger Schutzbemühungen des WWF. Doch die grösser werdenden Banteng-Herden in Thailand können die Verluste in anderen asiatischen Regionen nicht kompensieren.
Brillenpinguine: Wie rasant eine Tierart an den Abgrund des Aussterbens geraten kann, zeigen die Brillenpinguine. Die afrikanische Pinguinart wird seit diesem Jahr als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft. Während es 1956/57 noch 141.000 Brutpaare gab, werden jetzt nur noch ca. 9.900 Paare gezählt. Hauptproblem ist wahrscheinlich das fehlende Nahrungsangebot aufgrund kommerzieller Fischerei und klimabedingte Verschiebungen der Fischbestände, die in andere Meeresregionen abwandern, die die brütenden Pinguine nicht mehr erreichen. Ölverschmutzung, Unterwasserlärm und die Vogelgrippe verschärfen die Lage zusätzlich.
Bäume: Zum ersten Mal wurde die Mehrheit der Bäume weltweit in die Rote Liste der bedrohten Arten aufgenommen. Dabei zeigte sich, dass mindestens 16 425 der 47 282 bewerteten Arten vom Aussterben bedroht sind (38 Prozent der Arten). Die grösste Bedrohung betrifft Baumarten auf Inseln, verursacht durch Entwaldung, invasive Arten und Schädlingsbefall. Der Verlust von Wäldern stellt auch eine erhebliche Gefahr für Tausende andere Pflanzen-, Pilz- und Tierarten dar. Als entscheidende Bestandteile vieler Ökosysteme spielen Bäume eine fundamentale Rolle im Kohlenstoff-, Wasser- und Nährstoffkreislauf, bei der Bodenbildung und in der Klimaregulierung. Auch der Mensch ist stark von Wäldern abhängig: Mehr als 5 000 der in der Roten Liste aufgeführten Baumarten werden als Bauholz genutzt, und über 2 000 Arten dienen als Arzneimittel, Nahrungsmittel oder Brennstoffe.
Igel in der Schweiz: Der westeuropäische Igel gilt infolge deutlicher Rückgängen der Bestände neu als potenziell gefährdet. Die intensive Landwirtschaft vernichtete die vielfältigen Lebensräume in den traditionellen Kulturlandschaften. Ersatzlebensräume fand der Igel im Siedlungsgebiet. Wegen der Verbreitung von Schottergärten, unüberwindbaren Zäune, lieblosem Abstandgrün in den Wohnüberbauungen und dem Strassenverkehr verschwinden nun auch diese Habitate immer mehr. Als Insektenfresser ist der Igel auch stark vom Insektensterben betroffen. Ohne Veränderungen in den Siedlungen und im Landwirtschaftsland und ohne einen besseren Schutz der Insekten, wird diese Entwicklung weitergehen.
Wolf in der Schweiz: 2024 war ein ganz schlechtes Jahr für den Wolf. Der Bundesrat legte die Untergrenze für die Anzahl Rudel in der Schweiz so tief fest, dass kein stabiler, einheimischer Bestand garantiert werden kann. Der Wolf kann so seine wertvolle Rolle für den Erhalt des Waldes und gesunde Wildbestände nicht wahrnehmen. Ganze Rudel werden zum Abschuss freigegeben. Zur Erreichung der Abschussziele wurden Hilfsmittel eingesetzt die mehr an eine Schädlingsbekämpfung als an Artenschutz erinnern - Fehlabschüsse inklusive. Diese Abschusspolitik steht einer fachgerechten Regulation von Problemwölfen entgegen und konnte die Angriffe auf die Nutztiere nicht reduzieren. Effizient wäre nur der Ausbau des Herdenschutzes.
Goldlaufkäfer in der Schweiz: Goldlaufkäfer und viele andere Laufkäferarten jagen in den Äckern nach Schnecken und anderen Schädlingen. Sie schaffen es Kartoffelkäfer unter Kontrolle zu halten und helfen damit der Landwirtschaft den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren und damit auch die Kosten zu senken. Obwohl die Käfer für uns so nützlich sind, achten wir sie nicht. Der Goldlaufkäfer gilt als verletzlich und droht zu verschwinden. Nicht besser geht den anderen Laufkäferarten. Über 50 Prozent der Arten sind gefährdet, 4 Prozent in der Schweiz sogar ausgestorben. Mit mehr Biodiversitätsflächen im Ackergebiet könnten wir den Käfern, den Kartoffeln und damit der Rösti helfen. Das Parlament hat aber anders entschieden und die im Rahmen der Trinkwasserinitiative versprochenen 3.5 Prozent Biodiversitätsförderflächen abgelehnt.
Link zum Bildmaterial:
https://www.swisstransfer.com/d/04b5782f-d0cc-417b-a9ea-5a215685b530
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Kontakt:
Jonas Schmid, Mediensprecher, WWF Schweiz, jonas.schmid@wwf.ch, 079 241 60 57
Zum Living Planet Report (LPR)
Der Living Planet Report 2024 zeigt Veränderungen der weltweiten Biodiversität. Die Studie wird seit 1998 vom WWF veröffentlicht, seit 2000 erscheint sie im zweijährigen Turnus. Die diesjährige 15. Ausgabe wurde vom WWF gemeinsam mit der Zoologischen Gesellschaft London (ZSL) erstellt. Der darin angegebene Living Planet Index (LPI) erfasst den Zustand und die Entwicklung der weltweit untersuchten biologischen Vielfalt. Er basiert aktuell auf Daten zu rund 35 000 untersuchten Populationen und von circa 5 495 Wirbeltierarten auf der ganzen Erde. Damit gibt er einen stichprobenartigen Einblick in den Zustand der geschätzt 8 Millionen Arten auf der Erde.
In den letzten 50 Jahren (1970-2020) ist demnach die durchschnittliche Grösse der überwachten Wildtierpopulationen um 73 Prozent zurückgegangen. Die Süsswasserpopulationen sind mit einem Rückgang von 85 Prozent am stärksten zurückgegangen, gefolgt von Land (-69 Prozent) und Meerespopulationen (-56 Prozent).