Notruf der Natur: WWF Living Planet Report zeigt 73 Prozent Rückgang bei Wildtierpopulationen
In den vergangenen 50 Jahren ist die durchschnittliche Grösse der beobachteten Wildtierpopulationen um 73 Prozent zurückgegangen. Zudem stehen wichtige Ökosysteme auf der ganzen Welt vor dem Kollaps. Diesen katastrophalen Trend zeigt der heute veröffentlichte WWF Living Planet Index, der 35’000 Populationstrends und 5495 Arten von Amphibien, Vögeln, Fischen, Säugetieren und Reptilien umfasst.
- Unser Ernährungssystem und der fortschreitende Klimawandel sind wesentliche Ursachen für den wachsenden Druck auf die beobachteten Populationen.
- Bei den Ökosystemen ist der Rückgang in Seen und Flüssen mit 85% am stärksten, gefolgt von Land- (69%) und Meeresökosystemen (56%); Regional sind die stärksten Rückgänge in Lateinamerika und der Karibik (95%), Afrika (76%) und Asien-Pazifik (60%) zu beobachten. Konkret gibt es 57 % weniger Karettschildkröten in Australien und 65% weniger Flussdelfine im Amazonasgebiet.
- Kipp-Punkte: Weltweit drohen wichtige Ökosysteme kritische Schwellen zu überschreiten, mit irreversiblen Konsequenzen und potenziell globalen Auswirkungen.
- Nötig sind mehr Anstrengungen zum Schutz und zur Renaturierung von Ökosystemen, eine Stärkung der regenerativen Landwirtschaft und deutlich mehr Massnahmen im Bereich Klimaschutz – prioritär der Ausbau erneuerbarer Energien und die Reduktion von klimaschädlichen Emissionen.
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MedienmitteilungenZitate Thomas Vellacott, CEO beim WWF Schweiz:
«Der Living Planet Report 2024 ist ein Weckruf. Unser Ernährungssystem ist der Haupttreiber des Biodiversitätsverlusts. In der Schweiz können wir durch nachhaltige Landwirtschaft und verantwortungsvollen Konsum einen wichtigen Beitrag leisten, um den Biodiversitätsverlust zu stoppen.»
«Ein Beispiel für erfolgreichen Artenschutz ist die Rückkehr des Bartgeiers in die Schweizer Alpen. Dies zeigt: Gezielte Massnahmen zum Artenschutz wirken. Ähnliche Beispiele gibt es auf allen Kontinenten. Nun müssen wir diesen Erfolg auf breiterer Ebene wiederholen».
«Auch weltweit ist der WWF Schweiz gemeinsam mit seinen lokalen Partnern aktiv: Die Population der Saiga-Antilopen in der Mongolei zum Beispiel erholt sich dank intensiver Schutzmassnahmen. Zählungen vom November 2023 ergaben eine Population von 15'540 Individuen – der höchste Wert seit der regelmässigen Erfassung.»
Die Ursachen: Unser Ernährungssystem und die Klimakrise
Es ist unsere Ernährung, die ganz wesentlich dazu beiträgt, dass Lebensräume auf der ganzen Welt verloren gehen. Natürliche Lebensräume wie Wälder, Savannen oder Feuchtgebiete werden zerstört und in Felder oder Weideflächen umgewandelt. Grosse Flächen werden für den Anbau von Tierfutter wie Soja oder Mais umgenutzt. Auch der Einsatz von Pestiziden führt dazu, dass der Druck auf viele Arten steigt. Je mehr Fleisch und tierische Produkte wir konsumieren, desto mehr tragen wir zum Verlust natürlicher Lebensräume bei.
Auch die Klimakrise führt dazu, dass Tierpopulationen unter Druck geraten. Ein Beispiel sind die Flussdelfine im Amazonasgebiet. Bei Wassertemperaturen von über 39 Grad haben sie keine Möglichkeit, ihren Körper zu kühlen und sterben den Hitzetod.
Die Folgen: Kipp-Punkte führen zu potenziell irreversiblen globalen Auswirkungen
Der Living Planet Index zeigt, dass die Natur mit alarmierender Geschwindigkeit verschwindet. Mit gravierenden Folgen: Denn wenn Ökosysteme zu stark geschädigt werden, können sie Kipp-Punkte erreichen, die abrupt und ohne Vorwarnung eintreten. Einmal überschritten, ist eine Rückkehr zum ursprünglichen Zustand extrem schwierig oder unmöglich – mit Folgen, die weit über die Region hinausreichen.
Globale Kipp-Punkte wie das Massensterben von Korallenriffen, die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes und das Schmelzen der Eisschilde in Grönland und der Westantarktis bedrohen nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch menschliche Lebensgrundlagen. Der Verlust von Korallenriffen beispielsweise beeinträchtigt die Fischerei und den Küstenschutz für Millionen Menschen. Besonders alarmierend ist die Situation im Amazonasgebiet: Ein Kipp-Punkt droht dort, wenn 20-25 Prozent des Regenwaldes zerstört sind. Aktuell sind bereits 14-17 Prozent abgeholzt. Wird dieser Kipp-Punkt erreicht, könnte sich das gesamte Ökosystem unumkehrbar verändern, mit verheerenden Folgen für Klima und Biodiversität weltweit. Und die massive Freisetzung von CO2 würde den Klimawandel noch weiter ankurbeln – ein Teufelskreis.
Die Lösungen: Was jetzt zu tun ist
Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklungen betont der Bericht: Viele Kipp-Punkte können noch vermieden werden, wenn jetzt entschieden gehandelt wird. Dazu gehören Massnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen – wie die Renaturierung von Gewässern, die Wiederherstellung von Wäldern und Feuchtgebieten – und die drastische Reduzierung der Treibhausgasemissionen.
Es ist entscheidend, Veränderungen auf mehreren Ebenen herbeizuführen: So gilt es, die regenerative Landwirtschaft zu fördern und den Überkonsum zu reduzieren, die erneuerbaren Energien beschleunigt auszubauen und die Finanzströme in naturverträgliche Wirtschaftsmodelle umzulenken. Die diesjährigen internationalen Gipfeltreffen zur biologischen Vielfalt (COP16) und zum Klimawandel (COP29) bieten die Chance, entsprechende ambitionierte Natur- und Klimaschutzmassnahmen festzulegen.
Gezielte Massnahmen versprechen Erfolge
Es gibt aber auch vereinzelte Erfolgsgeschichten im Artenschutz. Diese zeigen, dass gezielte Massnahmen wirken, wenn sie richtig umgesetzt werden. Ein Beispiel ist die Entwicklung der Berggorilla-Population in den Virunga-Bergen Ostafrikas. Diese wuchs zwischen 2010 und 2016 jährlich um etwa drei Prozent. Dieser Erfolg ist das Ergebnis intensiver Schutzbemühungen, die strenge Schutzmassnahmen, Habitat-Erhaltung und die Einbindung lokaler Gemeinschaften umfassen.
Kontakt:
Susanna Petrone, Mediensprecherin WWF Schweiz, susanna.petrone@wwf.ch, 076 552 18 70
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