Der Elefant im Raum – Vom Konflikt zur Koexistenz
Dass man bedrohte Arten schützen muss, ist leicht gesagt. Was aber tun, wenn einem Elefanten durch den Garten ziehen, Tiger die Schafe reissen, Eisbären am Blockhaus rütteln? Erfolgreicher Artenschutz heisst auch, dass wir mit der Lokalbevölkerung Massnahmen entwickeln, die ein Zusammenleben von Menschen und Wildtieren möglich machen. Vier Beispiele aus der Praxis.
Die Ursachen von Mensch-Wildtier-Konflikten weltweit sind zahlreich und komplex: Ausdehnung von Landwirtschaftsflächen, industrieller Holzschlag, Rohstoffabbau und Infrastrukturentwicklung lassen die natürlichen Lebensräume von Wildtieren bedrohlich schwinden. Menschen und Wildtiere kommen einander immer näher. Aber auch der Klimawandel trägt seinen Teil bei, weil Dürren oder Überflutungen die Lebensräume verändern und die Tiere zum Teil abwandern müssen. Je mehr Platz die Menschen beanspruchen, desto kleiner werden die Rückzugsgebiete der Wildtiere und desto grösser werden die von Menschen und Wildtieren gemeinsam genutzten Flächen: Konflikte sind vorprogrammiert.
Ökologische und wirtschaftliche Folgen
Wo Wildtiere Felder und Ernten zerstören, kann die Ernährungssicherheit der Menschen vor Ort bedroht sein. Manchmal werden die Tiere gar zur Gefahr für Leib und Leben. Lässt man die betroffenen Menschen und Gemeinden mit dieser Bedrohung allein, töten sie die Tiere, um sich und ihre Ernte zu schützen. Sicherheitsvorkehrungen und Managementmassnahmen wiederum verursachen Kosten, die überproportional von denen getragen werden, die in unmittelbarer Nähe der Wildtiere leben – oft sind das die ärmsten Gemeinschaften der Welt. Vom Artenschutz und damit verbunden von gesunden Ökosystemen auf der ganzen Welt hingegen profitieren wir alle.
Erfolgreiche Massnahmen zur Koexistenz mit Wildtieren
Der WWF unterstützt deshalb lokale Gemeinden dabei, effektive und einfach umsetzbare Schutzmassnahmen gegen Mensch-Wildtier-Konflikte zu entwickeln und einzusetzen. Wir zeigen Ihnen vier erfolgreiche Beispiele aus unseren Projekten.
1. Indien: Eine mobile Tiger-Eingreiftruppe
Seit vielen Jahren arbeitet der WWF in Nepal und Indien mit der Regierung und den lokalen Gemeinden vor Ort an der Vermeidung von Konflikten mit Tigern. Dazu gehören sogenannte Tiger-Eingreiftruppen, die sofort vor Ort sind, wenn es zu Problemen kommt oder ein Tiger sich auffällig verhält. Mit Erfolg: Im Juni 2021 konnte das Team beispielsweise einen Tiger einfangen, der sich wiederholt in der Nähe eines Dorfes aufgehalten hatte, und ihn an anderer Stelle wieder in die Freiheit entlassen.
2. Sambia: «Chili-Bomben» gegen Elefanten
Elefanten haben einen besonders guten Geruchssinn. Sie können Wasser- und Futterquellen aus einer Entfernung von mehreren Kilometern erschnüffeln. So ist es keine Überraschung, dass sie den Mais – eine beliebte Futterquelle für die Dickhäuter – der Bauern riechen, wenn sie nur nah genug daran vorbeiziehen. Eine effektive, einfache und günstige Lösung, um die Elefanten von den Feldern fernzuhalten, sind sogenannte Chili-Bomben. Eine Mischung aus getrocknetem Elefanten-Mist und scharfen Chilis wird zu einem Fladen geformt und mit einem Kohlestück in der Mitte zum Glühen gebracht. Diese Fladen werden um die Felder platziert, der beissende Rauch hält die Elefanten fern.
3. Namibia: Löwen-Schützer auf Mountainbikes
Die Aufgabe der Löwen-Schützer ist es, das Umland der Bauern zu beobachten und Bescheid zu geben, falls Löwen in der Region sind. So können die Bauern ihre Nutztiere über Nacht in sichere Umzäunungen treiben. Zusätzlich wurden Löwen, die ihr Revier in der Nähe von Farmern haben, mit einem GPS-Tracker ausgestattet. Zur Ausrüstung der Löwen-Schützer gehören neben Telefon und GPS-Sender auch Mountainbikes. Nähern sich Löwen mit einem GPS-Sender den Herden oder einem Dorf, wird ein Alarm ausgelöst und eine SMS verschickt. Die Löwen-Schützer eilen dann zur Hilfe und vertreiben die Löwen mit Lichtern, Lärm und Feuer.
4. Arktis: Bärensichere Lebensmittelcontainer
Das schmelzende Meereis verkleinert den Lebensraum der Eisbären und verringert die Zahl ihrer Beutetiere. Dadurch nähern sie sich im gesamten Arktisraum vermehrt menschlichen Siedlungen. Der WWF unterstützt deshalb die Bewohner der arktischen Gebiete dabei, Eisbärenpatrouillen auszubilden, welche Eisbären von den Siedlungen fernhalten. Zudem arbeiten wir mit den lokalen Gemeinschaften daran, bärensichere Systeme zur Aufbewahrung von Lebensmitteln und Abfällen zu entwickeln.
Koexistenz auch in der Schweiz: Zusammenleben mit dem Wolf
Mensch-Wildtier-Konflikte spielen sich nicht nur in weit entfernten Ländern ab. Auch in der Schweiz kehren Grossraubtiere wie Bären, Wölfe und Luchse in den Alpenraum zurück. Was gut für die Artenvielfalt ist, erfordert aber auch Anpassungen und Kompromisse der Bergbevölkerung. Der WWF unterstützt deshalb Bewohner von Berggebieten dabei, gut umsetzbare Massnahmen für das Zusammenleben mit dem Wolf zu entwickeln. Wir engagieren uns beispielsweise für eine effektive Unterstützung der Bergbauern bei Herdenschutzmassnahmen. Wir fördern innovative, aber auch bewährte Massnahmen wie zum Beispiel Frühwarnsysteme vor Raubtierangriffen für Nutztierhalter oder Freiwilligen-Projekte, welche die Bauern beim Herdenschutz entlasten.
Sie wollen es genauer wissen?
Der Report «A Future for All: The Need for Human-Wildlife Coexistence» von WWF und dem Uno-Umweltprogramm analysiert die Auswirkungen des Zusammenlebens von Menschen und Wildtieren und die drängenden Probleme, die daraus entstehen. Anhand zahlreicher Projektbeispiele schlägt der Bericht Lösungen vor. Diese Beispiele zeigen, dass eine friedliche Koexistenz von Menschen und Wildtieren möglich ist!
Was Sie tun können
Unterstützen Sie unsere Arbeit für den Schutz bedrohter Arten mit einer Spende oder als Mitglied. So können wir Menschen vor Ort langfristig beim Wildtier-Management unterstützen und uns politisch für bessere Rahmenbedingungen für eine friedliche Koexistenz mit Wildtieren einsetzen.