Von der Zerstörung des Regenwaldes zur Pandemie
Die Zerstörung und intensive Nutzung der Wälder sind nicht nur eine Bedrohung für das globale Klima und die Artenvielfalt. Intensiv genutzte tropische Wälder sind auch Brutstätten für gefährliche Krankheitserreger. Waldschutz ist also auch Schutz der Menschheit.
Millionen unbekannter Mikroorganismen
Die ältesten Wälder der Welt wie im Amazonas, im Kongobecken oder in Südostasien sind die globalen Zentren der Evolution. Die biologische Vielfalt ist hier besonders gross. Der grösste Teil der Lebewesen und Pflanzen ist noch unbekannt und mikroskopisch klein. Diese sogenannten «Primärwälder» faszinieren Biologinnen und Biologen, weil sie unzählige unentdeckte Arten beherbergen. Für einen Epidemiologen hingegen enthalten sie eine Ursuppe von gefährlichen Krankheitserregern. Denn biologische Vielfalt bezieht sich nicht nur auf die niedlichsten oder charismatischsten Geschöpfe.
In diesen Urwäldern, die wir wegen ihres kulturellen, medizinischen und wirtschaftlichen Nutzens schätzen, gibt es auch Millionen unbekannter Mikroorganismen. Das ist an sich eine gute Sache: Wie bei den Tierarten halten sich Mikroorganismen wie Viren und Bakterien in einem Gleichgewicht, keiner kann überhandnehmen. Die Menschen haben viel aus diesen Mechanismen gelernt, einige unserer wirksamsten Antibiotika stammen aus diesen Gebieten. Wenn die natürliche Vielfalt aber verloren geht oder ein neuer Krankheitserreger in ein Ökosystem eingeschleppt wird, kann das System aber kippen. Dann können Krankheitserreger wie Viren oder gewisse Bakterien einfacher auf neue Wirte wie Menschen oder Nutztiere überspringen und sie unter Umständen krank machen.
Mehr Infektionen durch Tiere
Waldverlust und die qualitative Verschlechterung der Wälder durch menschliche Aktivitäten stellen bereits jetzt eine erhebliche Bedrohung für das Klima und das Wirtschaftswachstum dar. Die Forschung zeigt aber auch, dass neue Krankheiten in tropischen, biodiversen und historisch bewaldeten Regionen dort erhöht auftreten, wo der Mensch natürliche Gebiete zerstört, beeinträchtigt und nutzbar macht:
- Wildtiere, mit zerstörten Lebensräumen, neigen dazu, sich in vergleichsweiser grosser Zahl in die verbleibenden Wald- oder Lebensraumfragmente zurückzuziehen. Diese höhere Populationsdichte birgt die Gefahr, dass sich Krankheiten innerhalb der Wildtierpopulationen einfacher übertragen.
- Da Waldgebiete abgeholzt oder durch neue Strassen erschlossen werden, leben immer mehr Menschen näher an Krankheitserregern, die beispielsweise über Wildtiere oder Mücken übertragen werden. Diese Menschen gehen für ihren Lebensunterhalt häufig auf die Jagd, wodurch sie zusätzlich dem Risiko einer Übertragung von Krankheitserregern aussetzt sind.
Die Anfälligkeit der Menschen für Infektionen durch Tiere nimmt zu. Einerseits, weil Krankheitsüberträger wie Nagetiere oder Fledermäuse in Anwesenheit von Menschen gut überleben. Andererseits aber auch, weil Armut, Unterernährung, Atemwegserkrankungen und schlechte Wasser- und Luftqualität die Verbreitung von Krankheitserregern verstärken. Sie alle kommen im Zusammenhang mit Entwaldung und Umweltzerstörung häufig vor.
Wissenschaftler machen sich seit langem Sorgen über die Bedingungen, die den Ausbruch von Krankheiten wie Covid-19 begünstigen. Infektionserreger, die Menschen befallen, hat es immer gegeben und wird es wahrscheinlich auch immer geben. Zu den neu auftretenden Viren, die von Tieren auf Menschen übergegangen sind, gehören Sars-CoV, Mers-CoV oder HIV. Dazu kommen Infektionskrankheiten, die zu lokalen Ausbrüchen geführt haben, beispielsweise Nipah und Ebola. Covid-19 und seine Ausbreitungsgeschwindigkeit aber haben eine ganz neue Dimension angenommen – unter anderem begünstigt durch unsere globale Reisetätigkeit.
Naturschutz und Gesundheit zusammen denken
Wenn wir das Risiko einer weiteren neuartigen Corona-Pandemie eindämmen wollen, müssen wir Naturschutz und Gesundheit der Weltbevölkerung zusammen denken, das heisst auch Wälder erhalten und wieder aufzuforsten. In den letzten zehn Jahren hat der sogenannte «One Health»-Ansatz an Bedeutung gewonnen und ist von vielen UN-Gremien, der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE), der Europäischen Kommission, Forschungsinstituten, NGOs und weiteren anerkannt. «One Health» baut auf einer ganzheitlichen Betrachtung der Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen, Lebens- und Arbeitsumgebungen und Ökosystemen auf. Viele Zusammenhänge verstehen wir heute noch nicht vollständig. «One Health» fördert eine stärkere, systematische Interaktion zwischen den relevanten Berufsgruppen, insbesondere zwischen Ärzten und Tierärzten, Epidemiologen, Ökologen und Wildtierexperten, aber auch Soziologen, Ökonomen und Juristen.
Die Artenvielfalt und die Lebensräume zu erhalten sind entscheidende Schritte bei der Verhütung neu auftretender Infektionskrankheiten. Die globale Gemeinschaft muss deshalb Wälder als global wichtige Ökosysteme weltweit erhalten und wiederherstellen. Sie muss verstehen, welche Rolle die Natur in der Regulation von Krankheiten spielen kann und die Erkenntnisse bei der Landnutzungsplanung berücksichtigen, zum Beispiel beim Strassenbau und bei der Infrastruktur. Sonst ist die nächste globale Pandemie nur eine Frage der Zeit.
Dieser Text basiert auf zwei englischen Blogbeiträgen von Craig Beatty für den WWF USA. Zu den beiden Originaltexten geht es hier:
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